Coronavirus, Umzug nach Taipei (Taiwan) – für mich ist ein Thema aktueller denn je: Remote Work und Home Office. In diesem Blogartikel fasse ich praktische Tipps und Tools für Führungskräfte sowie für Mitarbeitende zusammen.
Remote Führen – Geht Führung auf Distanz?
Mich inspirierte ein YouTube-Video zu diesem Blogbeitrag. Ben Hughes lebt in Helsinki, Finnland, und leitet ein Team bei Blinkist in Berlin. Er zeigt: Remote Führen funktioniert – mit Vorteilen und Herausforderungen. Insbesondere in Zeiten der Corona-Krise gilt es remote zu führen. Seht es als Chance.
Lasst uns mit den Vorteilen starten:
- Ben Hughes sagt, dass er durch seine „Remote Bubble“ etwas weniger emotional auf Business-Fragestellungen reagieren kann. Er hat oft eine sachlichere Brille auf, als die Kolleg*innen vor Ort.
- Mitarbeitende einer remote Führungskraft fühlen sich unter Umständen verantwortlicher und „selbst ermächtigt“ (für self-empowerment gibt es keine schöne Übersetzung, oder?). Insbesondere bei spontan auftretenden Fragen oder Problemstellungen agieren sie schneller eigenständig als Mitarbeitende, die sich dann einfach an die Führungskraft im Büro nebendran wenden können. Dadurch entwickeln sie sich auch professionell weiter. So seine praktische Erfahrung. Wenn die Mitarbeitenden diese Art von Arbeit noch nicht gewohnt sind – Fragt nach „Was brauchst du von mir? Wie kann ich dich unterstützen – auch remote?“ Seid virtuell präsent und ansprechbar!
- Die Zeit mit dem Team – also die persönliche „Face-to-Face“ Zeit – schätzt Ben sehr. Insofern die Mitarbeitenden wollen, werden sie zur Begrüßung auch umarmt. (In Zeiten von Corona fällt das natürlich weg – ggf. mal einen Smiley oder ein Gif in die Runde senden, das Persönliche sollte gerade jetzt nicht zu kurz kommen).
- Remote Arbeiten bedeutet für Ben zugleich weniger Ablenkung. Er schafft einfach mehr und arbeitet effizienter.
- Und das Beste zum Schluss: Keine Berufspendelei! Das spart Zeit und Nerven (und in der Corona/Grippezeit auch das Ansteckungsrisiko)!
Selbstverständlich gibt es auch Herausforderungen:
- Es passiert schneller als man denkt und schon ist man verloren in der virtuellen Kommunikation. Es gibt Studien, die zeigen, dass wir nur 7% unserer Kommunikation verbal vermitteln – der Rest wird durch non-Verbales (Gestik, Mimik, Intonation…) zum Ausdruck gebracht. Das fehlt bei der schriftlichen Kommunikation leider! Zudem hat David Goleman hat, dass Emailnachrichten von Empfänger*innen oft eine Stufe negativer bewertet werden als diese ursprünglich gemeint waren. Eine neutrale Mail kann so schnell mal eine negative Wirkung erzeugen.
- Für gute Teamarbeit braucht es Vertrauen. Vertrauen entsteht, in dem man zusammen arbeitet. Bei remote Arbeit muss man hier also besonders auf Austausch und Vertrauensbildung achten.
- Als Führungskraft sieht man das Team nicht bei der täglichen Arbeit. Sollte eine Person über einen längeren Zeitraum bis in die Nacht arbeiten, braucht eine remote Führungskraft auch mal länger, so etwas zu entdecken …
- Teammitgliedern bei der persönlichen Entwicklung zu helfen, ist unter anderem Aufgabe einer Führungskraft. Dazu ist Feedback notwendig. Wenn die Führungskraft die Mitglieder allerdings nur selten zu Gesicht bekommt, gibt es auch weniger Potenzial ein sinnvolles Feedback zu geben.
- Meetings können auch zum Frust werden, wenn man lediglich aus der Ferne zugeschaltet ist. Es ist außerdem schwieriger Menschen über den Computerbildschirm zu inspirieren. Unter Umständen dauert es auch mal länger, dass man als Führungskraft Spannungen im Team wahrnimmt.
Es wäre ja nur ein halber Vortrag, wenn diesen Herausforderungen nicht auch Tipps folgen würden. Ben empfiehlt:
- Vertraue deinem Team! Du kannst es nicht kontrollieren, versuche es erst gar nicht. Er meint allerdings auch, das selbstverantwortliches (am besten selbstorganisiertes, nicht hierarchisches) Arbeiten eine Voraussetzung für remote Führung ist. Sein Job sieht er darin, Strategien und Budgets zu setzen und den Teammitgliedern beim Erreichen der Ziele zu helfen. Jetzt ist die Zeit, in der wir diese Art des Arbeitens üben können. Es braucht aber auch sehr viel Kommunikation. Also macht regelmäßige (mind. 1x am Tag) Konferenzen mit eurem Team und mit den einzelnen Teammitgliedern. Fragt, was sie brauchen!
- Zu Beginn des remote Versuchs (als Ben 2012 bei Blinkist remote Einstieg war das Thema noch nicht en Vogue) arbeitete Ben erstmal mit Freelancer*innen zusammen und schaute, mit wem die gemeinsame Arbeit funktionierte und auf wen er sich verlassen konnte. Als er ein Team zusammengestellt hatte, dem er vertraute, konnte er auch mal Personen einstellen, mit denen er vorher noch nicht zusammengearbeitet hatte.
- Klarheit: Jede*r weiß, was die eigene Rolle und eigene Entscheidungsbefugnisse sind. Ziele und Erwartungen sind klar. Alles ist explizit und somit auch schriftlich festgehalten. Sollte es diese Klarheit bei euch noch nicht geben, wäre jetzt ggf. ein guter Moment, um über Strukturen zumindest nochmal nachzudenken und alle Fragen, die aufkommen, zumindest festzuhalten.
- Worüber auch Klarheit herrschen sollte: Wann erwarte ich, dass mein Team mir antwortet und wann dürfen sie von mir Antwort erwarten (z.B. nicht nachts, nicht an den Wochenenden).
- Jede Email, die rausgeht, versucht Ben im freundlichsten Ton zu formulieren. Denn es gibt so viel Subtext in Mails! Der passiv-aggressivste Satz in einer Mail „Wie schon in der letzten Mail geschrieben, …„
- Es braucht Zeit mit dem Team! Es gibt 1:1 remote Treffen (vor allem wenn es so scheint, als gäbe es nichts zu besprechen). Ben hat mittlerweile auch ein Gefühl dafür bekommen, wann es notwenig ist, sich in den Flieger zu setzen und persönlich für das Team da zu sein. Sofern er in Berlin ist, achtet er auch auf informelle Treffen, wie ein gemeinsamen Lunch (den gemeinsamen Lunch gilt es in Zeiten von Corona einfach mal digital zu versuchen). Er ist immer auf dem Team-Kommunikationsmedium „slack“ erreichbar – auch wenn das mal die Konzentration stört.
- Sein persönlicher Tipp: Tauscht euch aus mit anderen remote Führungskräften. Teilt eure „Best Practices“. Bei Blinkist wird dazu derzeit ein Toolkit zusammengestellt.
Hier gehts zum unterhaltsamen Input:
Remote Arbeiten – als Mitarbeiter*in auf Distanz
Vor kurzem hatte ich euch bereits die Tipps von den „digitalen Nomaden“ komoot an die Hand gegeben. Bei komoot arbeiten alle digital und remote. Das ist in vielen Organisationen nicht Realität und Alltag. Daher jetzt noch ein paar ergänzende Hinweise:
- Eine erste Lessons Learned: Wenn remote arbeiten funktionieren soll, verlangt dies vom ganzen Team ein wenig Veränderung. Angefangen bei den Teammeetings: Startzeiten einhalten, Agenda klar haben, wichtige Dokumente ggf. im Voraus senden (Poster an der Wand, die sich dann das Team gemeinsam anschaut und die man am PC nur verpixelt erkennen kann, sind keine Hilfe), Technik-Set-Up und eine hilfreiche Dokumentation (das ist übrigens immer sinnvoll, denn meist können nicht alle Teammitglieder bei einem Meeting dabei sein und wollen dennoch informiert bleiben). Bei komoot sitzen alle vor ihren einzelnen Bildschirmen, das kann und möchte ich von Teams gar nicht verlangen. Allerdings braucht es dann ein gutes Kommuniktionsverhalten im Meeting (sobald ein Durcheinander-Reden anfängt, lässt es sich aus der Ferne schlecht beteiligen) und bestenfalls auch eine Moderation (die auch mal sagen kann, nur dass du dich nicht wunderst, XYZ verlässt gerade den Raum – deswegen schauen gerade alle so abgelenkt). Für mich erfordert es vor allem ein „Daran Denken, dass jemand digital dabei ist“. Nicht die in der Ferne zu sein, die dann auch noch „Hier. Hallo!“ rufen muss. Das sind Routinen, die sich einschleifen können.
- Check-Ins & Check-Outs. Das können Runden zum Tageseinstieg und -abschluss sein, aber auch Runden um Meetings zu beginnen und zu beenden. Ein Beispiel: In einer virtuellen Konferenz haben wir mal die Check-In Frage gestellt „Wenn du aus dem Fenster schaust, was siehst du gerade“ – das gab gute Einblicke in aktuelle Lebensumgebungen, die auch Auswirkungen auf Stimmungen haben. Manche Teams machen zu Beginn des Tages ein kurzes virtuelles Check-In (15 Min.) und berichten sich, was über den Tag ansteht. Das funktioniert allerdings nur bei Teams, die in etwa der gleichen Zeitzone arbeiten. Andere Teams schreiben beispielsweise in einen slack-Channel, wo sie den Tag über sind und/oder an welchen Aufgaben sie arbeiten. Das gibt einen Überblick und ein bisschen Teamgefühl.
- Informelle Treffen sind schwieriger zu bewerkstelligen über die Distanz. Bei komoot gab es da so einen Bot, der zufällig Menschen zum virtuellen Kaffeetrinken gematcht hat (es gibt auch andere Online-Lösungen die Kolleg*innen via Zufallen zusammenlosen). Andere Unternehmen haben beispielsweise einen slack-Channel für informellen Austausch. Bei denkmodell gibt es eine Chat-Gruppe für das Informelle – Geburtstagsgesänge, Fotos aus dem Urlaub oder dem Büro – alles ist dabei. Am besten funktioniert der informelle Austausch allerdings nach wie vor über eine Skype / Zoom oder andere Form der Videokonferenz. So persönlich wie es geht eben. Eine halbe Stunde Austausch über Fragen, die gerade in diesem Moment bewegen (meist reicht schon ein ehrlich gemeintes „Wie geht es dir gerade?“), alle zwei Wochen mit anderen Kolleg*innen zum Beispiel.
- Was insbesondere bei der virtuellen Arbeit wichtiger wird: Klare und ehrliche Kommunikation. Spannungen, die durch virtuelle Kommunikation entstanden sind, aufzuheben, bis man sich mal trifft, ist keine gute Idee. Das kann unter Umständen Monate dauern und sich dann ordentlich Anstauen. Es braucht hier gute Formate, die auch ein schnelles Feedback z.B. mit Videochat ermöglichen. Wenn es im Team bereits im persönlichen Miteinander keine Konfliktkultur gibt, wird das in virtuellen Formaten vermutlich noch schwerer. Hier müssen alle mitarbeiten und die positiven Effekte von schnellem, konstruktiven Feedback spüren lernen. Die Neue Narrative (Wirtschaftsmagazin) beschreibt in einem Artikel, wie es sich auch wunderbar über digitale Kanäle streiten lässt.
- Und dann noch zum Thema billiger: Ich arbeite nun aus Taipei. Ein komplettes Dasein im Home Office kann ich mir nicht vorstellen. Es muss also ein Tisch im Co-Working-Space her. Außerdem, genau wie in Berlin, eine Karte für die öffentlichen Verkehrsmittel. Insgesamt wirds also ggf. erstmal teurer mit dem remote als billiger.
Ein Remote Work TedX gibt hier (p.s. am Pool arbeiten ist oft zwecks Überhitzung des PCs, Sonnenstrahlen und der negativ-Kombination von Wasser und PC gar nicht so empfehlenswert):
Und zu guter Letzt noch etwas zum Home Office:
Home Office – Kann jede*r, oder?
Das Home Office hat zum Teil Ähnlichkeiten mit der remote Arbeit. Allerdings gehe ich beim Home Office davon aus, dass die Besuche im Büro durchaus öfter stattfinden und der informelle Austausch und die persönliche Anwesenheit bei Teammeetings eher gewährleistet sind als bei tatsächlicher remote Arbeit.
- Das Offensichtliche also zuerst: Home Office Tage sollten idealerweise an Tagen erfolgen, in denen wenige Meetings mit einzelnen Teammitgliedern oder dem Gesamtteam anstehen (in Zeiten von Corona natürlich: alles remote). Das sorgt für den persönlichen Austausch.
- Ob nun remote Arbeit oder Home Office: Es braucht oft mehr Disziplin. Ich empfehle dafür Routinen: Aufstehen zu ähnlichen Zeiten, Morgenroutine. Dann je nach Biorhythmus: Konzentrationsarbeiten und Durchforsten der Mails. Ein paar Impulse dazu auch hier.
- Der Datenschutz spielt eine große Rolle bei vielen Organisationen: Wie kann Home Office und/oder remote hier funktionieren? Um ehrlich zu sein, es gibt noch nicht für alle Bereiche hinreichende Lösungen. Und: Ich bin keine Expertin zu dem Thema. Sollte ich hier mal über gute Quellen stolpern, teile ich diese gern. Was schon Mal im ersten kleinsten Schritt hilft: Eine Sichtschutzfolie für den Bildschirm, dann könnt nur ihr lesen, was auf dem Bildschirm steht.
Und zu aller letzt noch Links zu Übersichten mit digitalen Tools für die Teamarbeit:
Wer Lust und Zeit für einen kostenlosen Online-Kurs hat, wird hier fündig.
Und für alle die noch einen ausführlichen Remote Teamwork Guide benötigen (English only), lest unbedingt mal rein!
Bleibt gesund! Wascht euch die Hände! Hört auf Herrn Drosten (Leiter der Virologie an der Berliner Charité). Keine Panik aber auch kein Leichtsinn. Grüße aus Taipei!