Bei TheDive im Wedding kam am Freitag eine schöne Runde zusammen zum sogenannten „Hive Guckloch“ (weitere Events hier). Bei diesem Guckloch stehen Organisationen, die neue Wege des Arbeitens gehen, Rede und Antwort – jede*r Teilnehmende darf mit Fragen quasi um sich werfen. Dieses Mal wurde komoot befragt, um genau zu sein, den Co-Founder Jonas.
komoot bietet Routenplanung und Navigation für Wandernde und Radfahrer*innen. Das Team besteht aus mittlerweile über 30 Mitarbeitenden. Das besondere an komoot: Es wird remote gearbeitet. Die Mitarbeitenden leben in über 15 Städten in ganz Europa.
Kernarbeitszeit, Vertrauensarbeitszeit bei remote Arbeit
Die Kernarbeitszeit ist von 10-15 Uhr. Momentan hat komoot nur im europäischen Raum Mitarbeitende (u.a. Portugal, Rumänien, Irland, England…) – das macht es auch mit den Zeitverschiebungen händelbar.
Die Arbeitszeit der einzelnen Mitarbeitenden wird nicht getrackt. Es gilt das Prinzip Vertrauen. Allerdings haben sie das Thema Work-Life-Balance sehr wohl auf dem Schirm und tauschen sich über individuell verschiedene Tipps und Tricks aus. Beispielsweise hilft manchen eine Morgenroutine oder ein Spaziergang zwischendurch, Abendtermine und feste Sportzeiten sind ebenfalls hilfreich, um vom Schreibtisch wegzukommen.
Im Allgemeinen hat sich das „Überstunden ansammeln“ in ihrer Kultur nicht etabliert. Am Anfang ihres Start-Up-Lebens haben sie das noch anders gehandhabt, da wurde ordentlich investiert (vor allem Zeit) „damit man etwas an den Markt bringen kann„. Heute sind sie entspannter „Das wäre auch nicht mehr sinnvoll. Wir haben etwas auf dem Markt und hohe Nutzerzahlen. Fehler, die spät am Abend passieren, kosten schnell viel Geld.“
Ortsunabhängig arbeiten – ist das für ein Unternehmen günstiger?
Jede*r Mitarbeitende bekommt zum Einstieg ins Unternehmen die gleiche Ausstattung: Laptop, Handy und Headset. Darüber hinaus dürfen die Kolleg*innen zwischen einer „Co-Working Variante“ (Miete eines Raumes) oder einem „Home Office Arbeitsplatz“ (Stuhl, Schreibtisch…) wählen.
Und wer denkt: Ach herrlich billig, alle arbeiten nur noch daheim! Denkste! Einige nutzen die Möglichkeit in einem Co-Working Space zu arbeiten. Je nach Ort kostet ein Raum bzw. Arbeitsplatz auch schon mal 400 Euro pro Mitarbeiter*in im Monat.
Ein wahrer Vorteil ist allerdings der mögliche Wachstum: Während andere Unternehmen händeringend nach anderen Büroräumen suchen, sobald das Team wächst, kann sich komoot zurücklehnen. Diese Probleme kennen sie nicht mehr!
Informations- und Kommunikationskultur beim mobilen Arbeiten
komoot macht fast alles remote: Vorstellungsgespräche, Personalgespräche und eben auch Kündigungen.
Ein Mitarbeitender von komoot …
… eine gute Internetverbindung haben „Die Rumänen lachen uns Deutsche immer für unsere schlechte Verbindung aus.“ (scherzhafter gemeinter Punkt)
… wird im Vorstellungsgespräch nach Erfahrungen mit remote gefragt bzw. „Was glaubst du, ist anders, wenn man remote arbeitet?“
… wird nicht eingestellt, wenn schon die Kommunikation im Vorfeld zu Vertragsabsprachen schwierig wird.
… ist vermutlich wander- oder Fahrradbegeistert.
… ist prgamatisch und will Impact.
Onboarding von neuen Mitarbeitenden
Eine besondere Herausforderung ist das initiale Kennenlernen, wenn neue Kolleg*innen das Team bereichern. Man kennt sich nicht, trifft sich nur in digitalen sehr effizient strukturierten Meetings. „Da entstand auch mal der Eindruck, dass das alles Menschen sind, die strukturiert und eher meinungsmachend sind. Beim persönlichen Kennenlernen dann oft die Überraschung – die sind ja alle ganz entspannt. Es ist eben schwer Mitarbeitende von komoot in den Meetings kennen zu lernen – die Leute sind mit Leidenschaft dabei und halten sich an die effizienten Strukturen, wenn sie das Meeting beenden, lehnen sie sich auch wieder in ihrem Stuhl zurück. Das sind alles entspannte Leute.“
Seither gibt es bei komoot zum Einstieg Video-Telefonate mit allen Mitarbeitenden. Jeden Tag werden etwa 2 halbstündige Gespräche der neuen Kolleg*in mit einem Mitarbeitenden geführt. Einfach nur so „über nix„. Zum Kennenlernen.
Must Do bzw. No Go bei der virtuellen Kommunikation
Weiterhin ist es bei komoot wichtig, dass alle (auch wenn sie in einem Raum sitzen) den eigenen Laptop und das eigene Headset für Video-Konferenzen nutzen. Schlimmstes Szenario: Drei Kolleg*innen sitzen in einem Raum und telefonieren über einen PC mit einer Person, die gerade in einer anderen Stadt sitzt. Die drei im gleichen Raum unterhalten sich entweder so, dass die Person nichts versteht oder schreien ins Mikro. Wenn die Verbindung zur Person mal unterbrochen wird, bekommen die drei es im schlimmsten Fall nicht mal mit. Dahinter steht eine wirkliche Herausforderung: Niemandem das Gefühl geben, etwas nicht mitzubekommen oder Informationen nicht offen und transparent kommuniziert zu haben. Das ist häufig der größte Schmerzpunkt beim remote Arbeiten.
Protokolle werden direkt im remote Meeting mit Screensharing geschrieben – so kann auch direkt interveniert werden, wenn etwas nicht stimmt.
Für Videokonferenzen wurde zoom empfohlen. zoom ist qualitativ top – es schluckt allerdings eine Menge Ressourcen „Wenn mein Laptop sonst 13 Stunden ohne Akku durchhält, ist er nach 45 Minuten Screen-Sharing via zoom tot.“
Als internes Kommunikationstool verwendet komoot slack.
Generell gilt: Alle Mitarbeiten haben auf alle Informationen Zugriff. Unternehmenssprache ist englisch.
Teamgefühl
Mein Lieblingssatz des Abends „Wenn wir Sachen machen – dann richtig. Richtig effizient oder richtig Team.“ So kommt es, dass Mitarbeitende von komoot drei Mal im Jahr (alle 4 Monate) für eine Woche zum Teamworkshop eingeladen werden – mal ging es nach Frankreich, mal nach Spanien etc. In dieser Woche gibt es viel Zeit für Kontakt und Kennenlernen im Team. „Das kostet uns auch: Arbeitsausfall und die Reisen. Aber es lohnt sich.“
Der Beginn der Teamtage kann manchmal merkwürdige Gefühle auslösen „Eigentlich hast du alle Kolleg*innen ja jeden Tag gesehen in den vergangenen Monaten und dann eben doch wieder nicht.“ Daher gibt es direkt zu Beginn erstmal Austausch, beispielsweise starten sie mit einem Speed-Dating in die Teamtage – „schnappt euch eine Person und erzählt dieser 5 Minuten von euren letzten 4 Monaten„. Danach werden Karten gemalt und in einer „Gallerie“ aufgehangen. Über die Tage hinweg gibt es dann immer wieder die Möglichkeit, sich die Karten in Ruhe anzuschauen und mit den Kolleg*innen ins Gespräch zu kommen „Wow du bekommst ein Kind?“.
Außerdem haben die Mitarbeitenden die Liebe zur Natur gemeinsam. Oft wird am Abend der Teamtage noch gewandert oder Fahrrad gefahren. Routen kennen sie ja!
Zufällige Gespräche – wie an der Kaffeebar
Für den „zufälligen“ Austausch im Arbeitsalltag (sozusagen der Ersatz für das zufällige Treffen bei der Kaffeemaschine) sorgt ein sogenannter „Chatbot“. Der Chatbot schlägt einmal die Woche eine andere Person vor, mit der man mal bei einem Kaffee 15 bis 30 Minuten telefonieren soll. „Das klappt erstaunlich gut! Es klappt aber eben nur so gut, weil die Teammitglieder Bock auf Austausch haben. Wenn die keine Lust hätten, würde es nicht funktionieren.“ Und außerdem „Es ist ja auch eine Utopie, dass nur weil man ein Büro hat, sich die 30 Mitarbeitenden gut untereinander kennen. Da gibt es ebenso Strukturen und es finden sich immer wieder die gleichen Leute in ähnlichen Grüppchen zusammen.“
Und bei Konflikten?
Bei Konflikten wird auch schon mal ein Flug bezahlt, sodass sich die Beteiligten in Ruhe aussprechen können – z.B. beim Wandern.
Strukturen und Gehälter – alles ganz anders?
Sind die Strukturen ganz anders als in anderen Unternehmen? Eigentlich nicht. „Wir arbeiten in Projekten. Ab 2 Personen ist es ein Projekt. Projekte können eine Woche oder Monate gehen. Unser größtes Projekt zählt 22 Mitarbeitende.“ Sie versuchen die Organisation netzwerkartig aufzubauen mit fachlichen Leads.
komoot will in Zukunft weiter wachsen. „Wir werden auf Wachstumsschmerzen haben, wie jede Organisationen. Wer weiß, was wird davon remote zuschieben können“.
Und das mit dem Gehalt? Transparent ist es nicht. Aber: „Wir bezahlen über den lokalen Marktpreisen, so dass Gehalt allein nicht dazu bewegt bei komoot zu bleiben, aber auch nicht davon abhält für uns zu arbeiten. Wir wollen keine Leute wegen des Geldes, wenn jemand kündigen will, soll er*sie kündigen.“ Die Gehaltsdiskussion ist keine einfache Diskussion „Gleiche Arbeit – gleiches Geld? Aber verschiedene Länder mit unterschiedlichen Ausgaben.“ Hier empfiehlt er Buffer – ein Unternehmen, dass ebenfalls remote funktioniert und mit einer transparenten Gehaltstabelle arbeitet. Mit einer simplen Formel kann jede Person, die potenziell bei Buffer arbeiten möchte, das eigene mögliche Gehalt errechnen.
Alles digitale Nomaden bei komoot?
Das mit den digitalen Nomaden ist eigentlich nicht ganz richtig. Die jungen, sehr hippen Reisenden, frisch von der Uni sind auch nicht wirklich im Unternehmen zu finden. komoot hat Menschen schon immer nach Expertise und eher im Senior Level rekrutiert.
Außerdem war komoot nicht von Anfang an remote. Der Entschluss kam, als erste sehr gute Mitarbeitende zurück in ihre Heimat wollten (z.B. Australien). Um Mitarbeitende zu halten, haben sich die Leute von komoot zusammen gesetzt und sind alle Prozesse, Strukturen und Meetings durchgegangen – ist das alles auch remote machbar? Ja! Ja! Und ja!
Es gibt sicher auch Mitarbeitende, die mal auf Reisen gehen und dabei arbeiten, aber häufig wird remote aus familiären Gründen favorisiert: „Ein Experte bei uns ist z.B. 57 Jahre alt, hat in hohen Positionen, gut bezahlt gearbeitet und alles schon gesehen. Er wollte dann zu seiner Frau nach Hamm ziehen- in Hamm ist aber nichts. Remote arbeiten ist für ihn ein Segen! Die andere Kollegin wollte zu ihrer Familie nach Irland zurück aufs Land ziehen – auch dort ist nichts. Remote arbeiten war die einzige Alternative.“ Hochqualifizierte Mitarbeitende, die
Es geht also gar nicht um die Weltenbummlerei. Das Nomadentum. Es geht um flexible Arbeitsbedingungen, die ermöglichen, in ländlichen Gegenden bei der Familie oder den Liebsten zu leben, diese zu pflegen oder gemeinsam alt zu werden. Das ermöglicht komoot.
Ein sehr angenehmes Gespräch mit Jonas – wir konnten im Gucklock die Leidenschaft für sein Team, seine Arbeit und remote spüren. Für mich war wichtig: remote ist eine andere Arbeitsweise, verlangt ein Bewusstsein und eine Reflexion im Team darüber, wie man diese ausgestalten möchte. Insbesondere die größten Schmerzpunkte: Das Gefühl, Informationen zu verpassen und Kennenlernen von (neuen) Kolleg*innen sollten im Blick behalten werden! Danke für die Offenheit!
Ihr wollt noch mehr wissen? In der Ausgabe #3 der NeuenNarrative gibt es einen Artikel über komoot.
Ihr habt Feuer gefangen und wollt bei komoot einsteigen? Es sind gerade Positionen offen.
Ihr habt auch Tipps rund ums remote Arbeiten? Her damit! Ich freue mich über Feedback und Kommentare.
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