Happy feministischer Kampftag

Heute ist der 8. März: Weltfrauentag bzw. feministischer Kampftag. Warum jetzt eigentlich feministischer Kampftag fragst du dich? Weil es nicht nur um Frauen geht, sondern um sogenannte FLINTA-Personen. FLINTA steht dabei für Frauen, lesbische Menschen, inter Menschen (=körperliches Geschlecht kann nicht der medizinischen „Norm“ von eindeutig männlichen oder weiblichen Körpern zugeordnet werden), nichtbinäre Menschen (=befinden sich außerhalb der binären männlich/weibllich Einteilung), trans Menschen (= identifizieren sich nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenem Geschlecht) und agender Menschen (=ohne Geschlecht). Diese Personen werden vom patriachalem System unterdrückt. Sie sind von sexueller Ausbeutung und Unterdrückung sowie von Seximus betroffen. Selbstverständlich leiden teilweise auch cis-Männer unter dem patriachalem System, allerdings sind sie an Stellen priviligiert, wo FLINTA marginalisiert und unterdrückt werden.

Was, wie, wann – eine knappe geschichtlicher Einordnung

An diesem Tag ging es noch nie um Blumen. Den Weltfrauentag bzw. feministischen Kampftag gibt es seit dem 19. März 1911, initiiert von Frauenrechtler*innen wie Clara Zetkin und Käthe Duncker. 1921 wurde der Weltfrauentag auf den 8. März 2021 verlegt, um an die Frauendemonstrationen in Russland von 1917 zu erinnern. 1933 wurde der Weltfrauentag von den Nationalsozialisten durch den Muttertag ersetzt. 1975 erklärte die UNO im Rahmen des Internationalen Frauenjahres den 8. März zum „International Women’s Day“ (IWD). Am feministischen Kampftag kämpfen wir für Gleichberechtigung, denn Gleichberechtigung ist ein Menschenrecht. Alle Menschen haben unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Sexualität und Geschlecht das Recht gleich behandelt zu werden. Findest du auch? Dann solidarisiere dich mit den FLINTA. In diesem Jahr steht der Tag unter dem Motto #choosetochallenge.

Feminismus brauchen wir in Deutschland nicht?

Und wer nun sagt: Feminismus in Deutschland brauchen wir nicht, in anderen Ländern ist es viel schlimmer! Denen möchte ich folgende Fakten, bereitgestellt von ooia, an die Hand geben: Deutschland ist in Kategorien rund um Gleichberechtigung auf den hintersten Plätzen. Laut dem All Bright Bericht 2020 belegt Deutschland mit dem Frauen*anteil in Vorständen den letzten Platz im Vergleich zu Frankreich, Großbritannien, Polen, Schweden und den USA. Kein einziges Großunternehmen wird von einer Frau* geführt oder erreicht einen Frauen*anteil von 30% im Vorstand. Deutschland gehört außerdem mit Österreich zu den Ländern, in denen der Gender-Pay-Gap am höchsten ist: Frauen* verdienten in Deutschland 2019 durchschnittlich 19% weniger pro Stunde als Männer (6% bei gleicher Tätigkeit und Qualifikation).

Auch ZDFheute hat ein paar Zahlen zusammengetragen:

  • Frauen verbringen pro Tag durchschnittlich 52,4% mehr Zeit mit unbezahlter Care-Arbeit als Männer – das sind 87 Minuten pro Tag
  • nur 29,4% der Führungskräfte sind Frauen (in der EU immerhin: 34,4%)
  • der Frauenanteil im Deutschen Bundestag beträgt 31,4 %
  • jede dritte Frau in Deutschland ist mindestens 1x in ihrem Leben von sexualisierter und/oder physischer Gewalt betroffen
  • Und: Frauen werden weniger erforscht – der Gender Data Gap. Der Mann wird als Standard gesehen, Medikamente werden größtenteils an Männern erprobt und Symptome einer Krankheit beim Mann werden als allgemeine Symptome verstanden – damit sind Medikamente für Frauen oft nicht wirksam und manchmal sogar gefährlich

Gender Data Gap – Sind Frauen wirklich benachteiligt?

Zum letzten Punkt gibt es ein ganzes Buch „Unsichtbare Frauen – Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert“ von Caroline Criado-Perez (bezieht sich in großen Teilen auf die UK und auf die Geschlechter cis-Mann/-Frau). In diesem Buch wird anhand von Studien und einprägsamen Beispielen aufgezeigt, inwiefern Frauen in vielen Bereichen des Lebens immer wieder vergessen werden, hier nur ein einige wenige Auszüge…

  • dass der Default der „Mann“ ist; Beispiel: in einer Studie wurden pakistanische Studierende gebeten „uns“ zu malen – nur wenige weibliche Studierende malten Frauen, männliche Studierende malten keine Frauen, s. S.10
  • Es gibt keine Frau, die nicht arbeitet. Es gibt nur Frauen, die nicht für ihre Arbeit bezahlt werden – Frauen übernehmen weltweit 75% der unbezahlten Arbeit; eine schwedische Studie zeigt, dass die zukünftigen Einkünfte einer Mutter um durchschnittlich 7% für jeden Monat, den der Vater Elternzeit nimmt, ansteigen (s.S. 70 ff)
  • Was zählt eigentlich als Arbeitsaufwendungen? Ein Take-Out-Dinner kann abgesetzt werden aber ein Babysitter nicht
  • Innerhalb eines Jahrzehnts (frühen 1970er) stieg der Anteil von Frauen im New York Philharmonic Orchestra von 0 auf 10%. In den frühen 1980er Jahren war der Frauenanteil von Neueinstellungen bei fast 50%. Warum? Blind Auditioins (die Personen, die einstellen, sehen die vorspielende Person nicht)! Weitere Studien zeigen, dass Männer regelmäßig als kompetenter, objektiver und hochbegabter wahrgenommen werden (s. S. 92ff)
  • ENIAC, der erste voll funktionstüchtige digitale Computer wurde von 6 Frauen programmiert, auch in den 40ern und 50ern blieben Frauen das dominierende Geschlecht in der Programmierwelt – in den 60er und 70er Jahren realisierten Arbeitgeber, dass das Programmieren keine einfache Bürotätigkeit war (wie die Ablage oder das Abtippen – Tätigkeiten, die sonst von Frauen ausgeübt worden sind) und führende Unternehmen begannen Männer darin zu trainieren (s.S.106f)
  • Die UN schätzt (Schätzungen sind alles, was wir haben), dass bis zu 50% der Frauen in der EU sexuell auf Arbeit belästigt worden sind (s.S. 137)
  • Bildungsinitiativen erreichen Frauen in Entwicklungsländern teilweise nicht: Sie sind ohnehin überarbeitet und können an Maßnahmen nicht teilnehmen, aufgrund von Kindern sind sie bei Reisen eingeschränkt oder könne diese nicht antreten; Lektüre hilft nicht unbedingt, weil Frauen zum Teil nicht lesen können (s. S. 150)
  • Google’s Spracherkennungssoftware erkannte männliche Spracheingaben mit 70% höherer Wahrscheinlichkeit richtig als weibliche Spracheingaben (s.S.162);
  • Als Apple die eigen AI gelauncht hat, konnte diese zwar Prostituierte und Viagra anbieten, aber verstand das Wort Vergewaltigung nicht und auch das in 2014 gelaunchte Apple Gesundheitsmonitoring-System enthielt Schrittzähler, Blutalkoholmesser etc. aber keinen Menstruationstracker (s. S. 176)
  • Weibliche Gründer*innen bekommen weniger als die Hälfte der Investitionen, die ihre männlichen Counterparts bekommen, obwohl sie doppelt so viel Umsatz machen; 93% des Venture Capitalits sind Männer – und Männer tendieren dazu in Männer zu investieren
  • Car Crash Test dummies basieren auf den Körpern vom „Durchschnittsmann“. Studien zeigen, dass moderne Autositze Frauen weniger vor Schleudertraumata beschützen und Frauen werden zu 47% mehr Wahrscheinlichkeit bei einem Autounfall ernsthaft verletzt
  • Der männliche Körper ist der „Standard Körper“ – eine Analyse zeigt, dass männliche Körper drei Mal öfter als weibliche Körper illustrietr wurden, um „neutrale Körperteile“ zu zeigen.
  • Seit 1993 ist es in den US illegal Frauen in staatlich geförderten medizinischen, klinischen Testverfahren auszuschließen. Für unabhängige Medikamentenhersteller gibt es in der US aber einige Schlumpflöcher. Ein Paper aus 2016 zeigte, dass 1/4 dieser keine repräsentative Anzahl von Frauen als Teilnehmerinnen für die Arzneimittelstudien rekrutierte (s.213).
  • Frauen beteiligen sich nur zu gleichen Anteilen an einer Diskussion, wenn sie in der Mehrzahl sind. Eine Frau spricht weniger, wenn Frauen in der Minderheit sind – das Sprechverhalten von Männern ändert sich nicht in Abhängigkeit zum Geschlechteranteil der Gruppe (s. S. 284)
  • Nicht zu vergessen, die vielen Nachteile für Frauen in Krisen und Pandemien (S. 297ff) – von zunehmender Gewalt, Vergewaltigungen und tödlichen Konsequenzen durch ihre Tätigkeiten (Krankenschwestern, Pflege, Reinigungskräfte, etc.)

Bei all diesen Beispielen haben wir nur selten einen Blick auf mehrdimensionale Diskriminierungen geworfen, z.B. der Pay Gap bzw. Care-Arbeits-Gap zwischen weißen Frauen und von Rassismus betroffenen Frauen. Wie Alice Hasters in einem Interview beschreibt, ist der Feminismus in Deutschland noch ein sehr weißer. ‚Schwarzer Feminismus hat verstanden, dass sich verschiedene Arten von Diskriminierungen überschneiden und wiederum eigene Erfahrungen ergeben können. Das Stichwort dazu heißt Intersektionalität. Nehmen wir (…) Audre Lorde. Sie hat gesagt: „Ich bin nicht frei, solange andere Frauen unfrei sind, auch wenn ihre Fesseln andere sind.” Dieser Kampf für die Gleichberechtigung aller zeichnet die Schwarze Frauenbewegung schon sehr früh aus. (…) Der Schwarze Feminismus kommt aus einer Geschichte von Frauen, die immer wahnsinnig viel gearbeitet haben. Sie mussten die Arbeit mit der niedrigsten Stellung machen, Care-Arbeit nicht nur für ihre eigene, sondern auch noch für weiße Familien.‘

Und weltweit – wie steht es da mit dem Feminismus?

Lasst uns den Blick von Deutschland auf die globale Ebene weiten: Laut UN Women Deutschland hat kein einziges Land der Welt die Gleichstellung aller Geschlechter erreicht. Beim aktuellen Tempo dauert es wohl noch 257 Jahre bis zur wirtschaftlichen Gleichbereichtigung. 34 Millionen Mädchen gehen weltweit nicht zur Schule. Mehr als 200 Millionen Mädchen und Frauen sind von Genitalverstümmelung betroffen. Jährlich werden laut UNICEF 12 Millionen Mädchen zwangsverheiratet. Unsichtbare Schwangerschaftsabbrüche sind eine der häufigsten Todesursachen von Frauen, mit geschätzten 25 Millionen unsicheren Abtreibungen pro Jahr. (Quelle: Aenne, Instagram)

Gibt es Grund zur Hoffnung?

Ja, es ist noch ein weiter Weg, aber gibt es auch Grund zur Hoffnung? Ja! Das Centre for Feminist Foreign Policy hat die positiven Entwicklungen zusammengetragen:

  • In Afghanistan dürfen Mütter nun ihre Namen auf die Nationalen Pässe ihrer Kinder drucken
  • Vietnam (als Chair der Association for South East Asian Nations) versucht Frauen in der Führung zu nachhaltigem Frieden, Sicherheit und Entwicklung zu födern
  • Loujain al-Hathloul, eine prominente Aktivistin für Frauenrechte, wurde nach 1001 Tagen aus dem Gefägnis entlassen
  • Indonesien (als UNSC Präsident) setzte sich für Frauen in der Friedenssicherung ein
  • Die USA hat die erste weibliche, Schwarze Vizepräsidentin – Kamala Harris; die erste offene trans-Person – Sarah McBride und die erste Native American – Deb Haaland gewählt
  • Kanada hat angekündigt, feministische Außenpolitik nach dem Beispiel von Mexiko weiter zu verfolgen
  • Die spanische Regierung ist dabei eine feministische Außenpolitik zu verabschieben unter Einbezug von Geschlechterthemen und weiblicher Partizipation
  • Belgien ernannte die weltweite erste trans-Person als Kabinettsmitglied – Petra De Sutter
  • Schottland stellt als erstes Land Menstruationsprodukte kostenlos zur Verfügung
  • Das Europäische Parlament hat eine feministische Außenpolitik verabschiedet und möchte mind. 50% Frauen in allen Entscheidungspositionen; außerdem sollen 85% der EU Entwicklungshilfe an Programme, die sich für Geschlechtergerechtigkeit einsetzen, gehen

Der feministische Kampftag ist nur einmal im Jahr, aber wir müssen jeden Tag laut sein. In Berlin ist dieser Tag ein Feiertag und ich habe die Zeit genutzt, mich nochmal intensiver in Themen wie Intersektionalität einzulesen. Insbesondere Literatur von FLINTA hilft, über diverse Lebenserfahrungen aufzuklären und sich so in einem erstem Schritt über die Ungleichheit bewusst zu werden. Ich werde wohl ein paar Bücher an meine männlichen Freunde verschenken, denn wir brauchen die cis-Männer an unserer Seite. Lasst uns solidarisch sein. Wie hast du den Tag genutzt? Welche Impulse nimmst du mit in die nächsten 364 Tage?

1 Kommentar zu „Happy feministischer Kampftag“

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