Ich bin drin. Clubhouse, eine neue Audio-App, hat in den vergangenen Wochen einen regelrechten Hype ausgelöst. Die einen lieben es, die anderen boykottieren oder kommen schlicht nicht rein. Wie, was und warum, habe ich versucht, in diesem Artikel zusammen zu fassen.
Wie funktioniert die App?
Clubhouse ist eine reine Audio-App, die es in den USA bereits seit April gibt. Jede*r Nutzer*in kann selbst Diskussionen eröffenen und diese dann öffentlich zugänglich machen oder im privaten Kreis stattfinden lassen. Natürlich können auch alle, die es in die App geschafft haben, an Diskussionen teilnehmen.
Bei öffentlichen Diskussionen kann jede*r zuhörende Nutzer*in eine „virtuelle Hand“ heben und – sollte die Moderation die Hand „dran nehmen“ – an der Diskussion teilnehmen. Anders als bei anderen Social Media Plattformen gibt es weder Video, noch Kommentar- oder Like-Funktion.
Wie kommt man ins Clubhouse?
Die Kritik ist groß am Zugang zu Clubhouse, denn nicht jeder, der mitmachen will, kommt auch rein. Zugegeben, die Tür ist vielleicht nicht so hart wie im Berghain, aber es gibt eben eine.
Variante 1: Du brauchst eine Einladung eines*r anderen Nutzers*in, um in den Club zu kommen. Im eigenen Profil wird dann angezeigt, von welchem*r Nutzer*in du eingeladen worden bist.
Jede*r Nutzer*in erhält allerdings nur eine limitierte Anzahl an Einladungen. Je aktiver ein*e Nutzer*in ist, desto mehr Einladungen werden freigeschaltet.
Variante 2: Du lädst die App runter, registriert dich und kommst auf eine Warteliste. Sollte ein*e bereits aktive*r Nutzer*in sehen, dass du auf der Warteliste stehst, kann die Person dich „reinlassen“. Sollte keiner deiner Kontakte die App nutzen, entscheidet Clubhouse, wann sie dich reinlassen – nach welchen Kriterien und wie lange das dauert, ist nicht ganz klar.
Eines wird vermutlich deutlich: Um andere Personen der App hinzuzufügen, müssen Telefonbücher mit sämtlichen Kontaktdaten freigegeben werden. Datenschutz olé! Man muss das eigene Telefonbuch aber nicht freigeben! Wenn man es nicht macht, kann man nur eben keine Kontakte hinzufügen.
Wichtig zu wissen: Die App funktioniert zunächst nur für iOS-Nutzer*innen. Langfristig soll sie aber auch für Android-Nutzer*innen funktionieren und für alle zugänglich sein – vermutlich ganz ohne Einladungs-System. Das sind doch gute Aussichten.
Hype – warum und wie lange wohl noch?
Social Audio wurde schon seit einiger Zeit als nächster Trend aus dem Silicon Valley prophezeit. Viele meinen, diese App schafft es: Den Podcast 2.0. Es ist wie ein interaktiver, spontaner, leichter, virtueller Live-Podcast. (Und ja: Es gibt shon ähnliche Apps wie z.B. Discord – Clubhouse hat es aber zum Hype geschafft, vermutlich auch durch #FOMO, s.u.).
In einer Clubhouse Diskussion mit Frank Thelen und Sascha Lobo wurde darüber gefachsimpelt, ob und wann der Moment kommen wird, dass die schnellesten Live-Berichterstattungen und Gespräche über aktuelle Ereignisse (Anschlag, spektakuläre Rücktritte etc.) auf Clubhouse stattfinden – denn nirgends sonst lassen sich Expert*innen, Beteiligte und Entscheider*innen so schnell zusammenbringen wie auf dieser App.
Natürlich gibt es auch unzählige Stimmen, die meinen, die App ist nicht zuletzt wegen des Lockdowns so erfolgreich. Netzwerk-Events und Small Talks auf Partys fehlen einfach momentan, hier schafft die App Abhilfe. Sophia Thomalla brachte es in einer Clubhouse Diskussion auf den Punkt: Im Moment lebt die App davon, dass viele große Namen und Influencer*innen Diskussionen ins Leben rufen. Teils gibt es tausende Zuhörer*innen. Aber: Was passiert, wenn diese Leute (endlich) wieder fürs Reden bezahlt werden? Wenn sie wieder reisen und arbeiten müssen? Sollten die großen Namen von der App verschwinden, was bleibt dann? Oder: Werden sie mit der App in Zukunft ebenfalls Geld verdienen können?
Im Moment kann keine*r sagen, wann diese Pandemie vorbei ist, ob die App dann mit ihr verschwindet, bleibt abzuwarten.
Das möchte ich euch nicht vorenthalten: Eine weitere gute Einordnung zu Clubhouse-Hype findet ihr hier.
Kritik – zu viel FOMO, zu wenig nachhaltig?
Es gibt vor allem Kritik am Zugang: Die Exklusivität durch Einladungen, die notwendige Datenfreigabe für Einladungen, nur iOS, die fehlende Barrierefreiheit und der Ausschluss von Gehörlosen.
Die Exlusivität spielt mit dem FOMO (=fear of missing out)-Gefühl: Dabei sein wollen. Zum Club gehören wollen. Die Angst, keine Kontakte zu knüpfen. Die Angst etwas zu verpassen. Die Live-Diskussionen verstärken dieses Gefühl bei vielen Nutzer*innen noch mal. Denn anders als bei Live-Instagram oder Live-YouTube-Sessions, werden diese Diskussionen nicht gespeichert und können zu einem späteren Zeitpunkt nochmal abgerufen werden. Vorbei ist vorbei. Viele Influencer*innen beschreiben, dass sie teils Stunden in der App verbracht haben und machen sich neue Vorsätze zum bewussteren Konsum. Andere hoffen, dass sich dieses Sucht-Gefühl nach den ersten Tagen von allein legt.
Eine weitere große Kritik besteht darin, dass man Diskussionen nicht melden kann. Fake News könnten so kursieren. Außerdem soll es schon rassistische, homophobe, misogyne Äußerungen gegeben haben, gegen die die Gründer Paul Davison und Rohan Seth wohl mit Verweis auf Free Speech bewusst nicht vorgehen wollen.
Daneben gibt es noch Stimmen die Fragen: Sind es nicht immer die gleichen, die da auf der Bühne stehen und reden? Oft eher Männer? Und wie unterscheidet man bei den Redner*innen eigentlich Competence (Kompetenz) und Confidence (Selbstbewusstsein) – ein Gedanken, den ich von Kristina Lunz aufgegriffen habe? Geht es wirklich um interaktiven Austausch mit vielen oder entwickeln sich die meisten Gespräche nicht doch eher als weniger interaktiver Live-Podcast? Wie können wir uns selbst bewusste Inhalte raussuchen, ohne uns zu verzetteln und am Ende des Tages nur zugedröhnt zu werden? Hilft die App beim Schaffen von Neuem (neue Gedanken, neue Ideen, …) – und sind die Redner*innen dafür schon divers genug?
Und: Eigentlich sollen alle Gespräche leicht, spontan und live erfolgen. Sascha Lobo berichtete, dass ihm ein Follower schon geschrieben hatte „Ich habe es mitgeschnitten“. Was bleibt also wirklich in den virtuellen Räumen der App und was wird heimlich aufgezeichnet? Ändert dies ggf. etwas an der „Freizügigkeit“ des Erzählens? Oder ist man sich nicht ohnehin bewusst, dass immer etwas mitgeschnitten werden kann?
Datenschutzrechtlich gibt es gleich mehrere Fragezeichen – angefangen bei der Freigabe des Telefonbuches. Eine gute Übersicht findet ihr hier. Dort gibt es auch den folgenden Hinweis: „Clubhouse zeichnet Gespräche in den Chaträumen auf. Die Aufzeichnung wird laut Angaben der Anbieter verschlüsselt gespeichert (ohne Angabe zum (Verschlüsselungsverfahren). Die Aufzeichnung soll nur im Fall von Beschwerden ausgewertet und dann wohl auch als Beweismittel eingesetzt werden. Die gespeicherten Gespräche werden gelöscht, wenn ein Chatraum geschlossen wird und keine Beschwerden über Nutzer eingegangen sind.“
Insgesamt frage ich mich: Wäre ein analoges Produkt auf dem Markt gekommen, das so vielen Menschen den Zugang verwehrt, hätten es die Influencer*innen dennoch konsumiert? Denn viele Influencer*innen oder sogenannte „Sinnfluencer*innen“ teilen zwar die Kritik an der App, machen aber dennoch mit (manche versuchen zumindest die Inhalte der Gesprächsrunden auf mehreren Plattformen zur Verfügung zu stellen). Wie nachhaltig müssen Technologien und Social Media sein? Wie sozial könnten / sollten sie sein: Geht es doch den Unternehmen dahinter oft nicht wirklich um den Austausch sondern um hohe Klickzahlen? Welche Verantwortung tragen einzelne bei der Nutzung? Und welche Verantwortung trägt die Politik?: Die macht zum Teil einfach mit. Ob Christian Lindner oder Dorothee Bär. Es sind schon so manche Politiker*innen in Diskussionsrunden zu Gast gewesen.
Es wird in der Gerüchteküche auch schon über zukünftige Bezahlmodelle spekuliert: Werden für spezifische Diskussionen bald Eintrittsgelder fällig? Wird mit den Daten und Werbung verdient? Auch das bleibt noch eine offene Frage.
In einem Artikel von TLGG wird auch auf die Markenbildungs- und Trackingmöglichkeiten von Organisationen geschaut: „Clubhouse eignet sich also vor allem für personenkonzentrierte Darstellung — mit allen Vor- und Nachteilen für Marken. (…) Grundsätzlich eignen sich alle Formate ideal für Clubhouse, die normalerweise als Panel stattfinden würden, und sind dabei kostengünstiger, spontaner durchführbar und vor allem Covid-freundlich.“ Auch Podcast-ähnliche Formate kommen gut an. „Da es sich auf Clubhouse extrem leicht von Raum zu Raum wechseln lässt, ist definitiv die Verweildauer des einzelnen Nutzers ein geeigneter Indikator dafür, ob ein Talk der Audience einen Mehrwert bietet.“
Die App wird in den kommenden Wochen und Monaten weiter entwickelt. Es lohnt sich also die Kritik weiter laut in den Raum zu stellen, damit sie nicht nur gehört wird, sondern damit sich auch tatsächlich etwas tut. Denn auf lange Sicht braucht es keinen elitären Club. Da bin ich ganz bei Raul Krauthausen, der festhält: Was der Menschheit gerade NICHT gefehlt hat, ist eine App, die ausgrenzt, exklusiv und elitär ist und FOMO auslöst.
Was meinst du? Bist du Nutzer*in der App? Boykottierst du sie? Lass ein Kommentar da – was gefällt, was muss anders oder soll die App insgesamt weg?