In der vergangenen Woche war ich auf einem „Mindful Leadership“ Meetup, organisiert von TheDiveHive und idealo. Es galt wieder das Prinzip: 4 Workshops werden angeboten, es gibt zu jedem Workshop einen Pitch zu Veranstaltungsbeginn und jede*r Teilnehmende kann dann an 2 der 4 angebotenen Workshops teilnehmen.
Die Qual der Wahl hatten wir zwischen:
- 1. Jonas Leve (Mit-Gründer 7Mind): Mindful oder Mind full – Über Achtsamkeit im digitalen Zeitalter
- 2. Angel Hernandez (Mit-Gründer Connected Business): Mindfulness in Business – Eine Reise von der Selbst-Führung zur Co-Führung
- 3. Fra Mega (Gründerin EMBODIED INTUITION): Mindful Leadership – Shifting towards curiosity, compassion and courage
- 4. Jonas Stoll und Thomas Puta (Agile Coaches bei idealo): Achtsame Führung in Gruppen – Im Spannungsfeld zwischen Autonomie und Vorgaben
Zum Wachwerden: Achtsame Führung in Gruppen
Da der Pitch von Jonas Stoll und Thomas Puta Aktivität und eigenes Erleben versprach, entschied ich mich zuerst für ihren Workshop. Es war Montagabend, ich war müde und konnte einen Aufwecker gebrauchen.
Worum ging es: Wir waren 14 Personen und wurden in einen anderen Raum geführt. Auf dem Boden des Raumes lag ein großes „A“ aus Metallstangen zusammengebaut. An dem A waren 7 Seile befestigt. Etwa 7 Meter entfernt davon war mit Klebeband ein Kreis auf dem Boden markiert. So in etwa sah das ganze aus:
Aufgabe 1: Eine Führungskraft wurde durch die Agile Coaches von idealo bestimmt und 7 Personen durften an jeweils ein Seil. Die Führungskraft sollte den Personen nun so Kommandos geben, dass Sie ein Bein des „A“s in den Kreis auf dem Boden bekommen. Die Personen sollten nicht selbst handeln, sondern nur auf die Anweisungen der Führungskraft hören. Das ganze dauerte 1 Minute 10 Sekunden.
Danach gab es eine Auswertungsrunde: Wie fühlte sich die Führungskraft? Was denkt die Führungskraft, wie sich die Mitarbeitenden gefühlt haben? Wie haben sich die Mitarbeitenden tatsächlich gefühlt?
Spannend: Die Führungskraft sagte mir in einem Gespräch nach dem Spiel, dass sie die Personen überhaupt nicht wahrgenommen hatte, weil er so auf das Ziel und die Sache konzentriert war. Ich war bei der Aufgabe Beobachterin und mir ging es ähnlich: ich hatte nur die Führungskraft beobachtet, sie zog alle Aufmerksamkeit auf sich und stand für mich im Mittelpunkt. Mitarbeitende widerum sagten aus, dass sie das Gefühl hatten, gar nicht bei der Erledigung der Aufgabe gebraucht zu werden, ggf. sogar eher hinderlich zu sein.
Aufgabe 2: Es wurde wieder eine Führungskraft durch die Agile Coaches bestimmt. Dann wurden noch 3 Abteilungsleiter*innen durch die Agile Coaches ausgewählt. Dieses Mal sollte die Führungskraft an die Abteilungsleiter*innen Befehle kommunizieren und diese sollten die Befehle an die 7 Personen an den Seilen weitergeben. Dieses Mal benötigten wir 2 Minuten und 50 Sekunden für die Bewältigung der Aufgabe.
Die Auswertungsrunde beinhaltete wieder dieselben Fragen, nur mit dem Zusatz, dass nach der Führungskraft die Abteilungsleiter*innen befragt worden sind.
Spannend: Die Führungskraft empfand die Mitarbeitenden konfus bis hilflos bei dieser Aufgabe. Die Personen an den Seilen empfanden diese Befehlshierarchie der Aufgabe nicht angemessen. Ein paar von ihnen hörten auf, selbst zu denken – es war anstrengend genug, sich darauf zu konzentrieren, den richtigen Befehl, der richtigen Person zu befolgen.
Aufgabe 3: Dieses Mal fragten die Agile Coaches „Wer will Führungskraft sein?“ – eine Person meldete sich sofort zu Wort (diese Person war vorher nur in der Beobachter*innenrolle). Das Team durfte sich aber selbst koordinieren – und machen, was und wie es wollte. Die Führungskraft hatte also nicht mehr das entscheidende Befehlswort. Das Team packte an und ein Bein des „A“s war in weniger als 20 Sekunden im Kreis.
Spannend: Zum ersten Mal freuten sich die Personen an den Seilen. Nach Erfüllung der Aufgabe gab es Jubel und High Fives – das Team selbst bemerkte das erst gar nicht, eine Beobachterin teilte diese Wahrnehmung. Die Wahl der Führungskraft sorgte für wenig Energie, aber es gab kaum Widerspruch zur Selbstwahl. Die Führungskraft selbst hatte das Gefühl, nicht gebraucht zu werden. Außerdem haben auch einzelne Personen an den Seilen losgelassen – es braucht sie für die Erfüllung der Aufgabe nicht. Bemerkt wurde auch: Es wurde in der letzten Runde kaum gesprochen. Situativ wurde von Personen Führung übernommen.
Sicherlich: Dies ist eine einfache Aufgabe. Es gibt eine Lernkurve von Runde zu Runde. Dennoch: Die Simulation hat uns zu verschiedensten Themen ins Gespräch gebracht. Bei einer abschließenden Reflexionsrunde wurden vor allem Themen wie Wertschätzung und Wahrnehmungen für „(Grund)Stimmungen“ angesprochen. Dieser Satz regte mich zum Denken an „Wenn alle achtsam sind, kann ich auch mal unachtsam sein.“
Unsere Ergebnisse in der Übersicht:
Mindful oder Mind full – Über Achtsamkeit im digitalen Zeitalter
Nun war ich wach und konnte mich einem eher input- und diskussionsfreudigen Workshop widmen: Der Mitgründer von 7Mind, Jonas Leve, lud zum Thema „Mindful oder Mind full“ ein.
Kurzer Hinweis: 7Mind ist eine Meditations-App, die wert wissenschaftlich Fundiertheit legt. Mittlerweile können in Deutschland bis zu 100% der Kosten für die App über die Krankenkasse erstattet werden.
Kurzer Überblick: Wie kam es zu 7Mind & welche Vision verfolgt das Team?
Wie entstand die Idee? Jonas studierte BWL an der Universität Witten/Herdecke. Dort traf er auf seinen früheren Buddelkasten Freund Manuel Ronnefeldt, der gerade in Indien war und Meditation für sich entdeckt hatte. Die beiden halfen 2014 bei der Organisation des alljährlichen stattfindenden Kongresses für Familienunternehmen, damals zum Thema #neuland (in Jahr 2013 hatte Angela Merkel in einer Rede gesagt, „Das Internet ist für uns alle Neuland“ – der Titel war eine Anspielung darauf). Bei diesem Kongress lernten die beiden Paul J. Kohtes kennen (Gründer einer der erfolgreichsten PR-Agenturen, vor 30 Jahren beginnt er sich mit der buddhistischen Lehre auseinanderzusetzen, lebt zeitweise in Japan und gibt dann Zen-Seminare für Führungskräfte). Jonas, Manuel und Paul J. Kohtes kommen ins Gespräch – schließlich wird letzterer zum Investor von 7Mind und stellt der App auch seine Stimme zur Verfügung. Er weiß zudem, wie man auch Manager*innen für das Thema Achtsamkeit gewinnen kann. „7Mind hat keinerlei buddhistische, christliche oder hinduistische Bezüge. Wir sehen die Meditation als weltliche Methode.“ (Quelle). Wie es scheint: Ein gutes Team!
7Mind hat die Vision, mehr Achtsamkeit in das Leben von möglichst vielen Menschen zu bringen. Achtsamkeit versteht Jonas dabei aber nicht nur als Trend (Studien zum Thema steigen, siehe Grafik), so wie es derzeit oft beschrieben wird. Seine Aussage „Hoffentlich ist Achtsamkeit das, was Joggen einmal war“ – er zeigte uns ein altes Cover des People Magazins: Joggen wurde damals noch als plötzlich auftretende Aktivität verstanden, die schnell an Popularität gewann, aber ebenso schnell wieder verschwinden wird. „Früher fanden die Menschen es auch merkwürdig, wenn Leute ganz ziellos durch den Park rannten, nur um zu rennen, genau das wünschen wir uns auch für Achtsamkeit und Meditation.“
Zahlen & Definitionen zum Thema Achtsamkeit
Warum ist Achtsamkeit aktuell ein Thema? Die Teilnehmenden des Workshops kamen vor allem mit einer Antwort: Die Digitalisierung. Die stets und ständige Erreichbarkeit. Die Flut an Informationen. Weiterhin gab es die These, dass durch neue Arbeitskonzepte wie Selbstführung im „New Work“ Kontext und den gefühlten Rückgang von Arbeitnehmer*innen-Vertretungen, jede*r wieder mehr auf sich selbst achten müsse. Außerdem wurden Themen wie Selbstoptimierung (Achtsamkeit, um produktiver zu arbeiten) und neo-liberalistische Strömungen [das Individuum ist dafür verantwortlich, sich an die (Arbeits-)Bedingungen anzupassen] ebenfalls zur Diskussion gestellt. Jonas brachte ein paar Fragen und Zahlen mit, die unserer Diskussion weitere Impulse gaben:
Wie oft schauen wir im Durchschnitt am Tag auf unser Handy? Unterschiedliche Studien meinen: Etwa 80 Mal pro Tag! Also etwa alle 20 Minuten (je nach Schlafdauer).
Wie lange schauen wir am Tag im Durchschnitt auf einen Bildschirm? Mehr als 10 Stunden!
Und dann noch der Goldfisch-Vergleich: Der Goldfisch hat eine Aufmerksamkeitsspanne von 9 Sekunden. Die Aufmerksamkeitsspanne bei Menschen ist von 12 Sekunden im Jahr 2000 auf 8 Sekunden im Jahr 2015 gesunken (amerikanische Studie).
Auch bei 7Mind arbeiten sie mit der Definition von Job Kabat-Zinn zu Achtsamkeit „Achtsamkeit ist Bewusstsein, das entsteht, wenn man absichtlich, im gegenwärtigen Moment, nicht urteilend, aufmerksam ist.,” (o.ä. gemäß Übersetzungen – mehr zu der Definition im Blog). Außerdem ergänzt Jonas im Workshop noch zwei Definition von Dr. Ellen Langer, Ph.D.:
Übersetzung (frei): Ein flexibler Geisteszustand, in dem wir uns aktiv mit der Gegenwart befassen, neue Dinge bemerken und für den Kontext sensibel sind.
Übersetzung (frei): Wenn man nicht achtsam ist: Handelt man nach dem Sinn für Verhalten, das in der Vergangenheit statt in der Gegenwart gemacht wurde. Wir sind in einer einzigen, starren Perspektive gefangen und kennen keine alternativen Arten des Wissens.
Eine kurze Achtsamkeitsübung
Wir begeben uns dann selbst in eine kurze Achtsamkeitsübung: Mit einer*m Partner*in unserer Wahl sollen wir folgendes tun:
Runde 1: A erzählt vom letzten Urlaub (3 Minuten), B hört nur zu. Dann erzählt B vom letzten Urlaub und A hört nur zu.
Runde 2: A erzählt vom bisher schönsten Urlaub (3 Minuten) und B hört NICHT zu, sondern lenkt sich ab, ist gelangweilt und genervt. Danach erzählt B vom schönsten Urlaub und A hört NICHT zu.
Danach gab es eine kurze Auswertung: Wie hat sich das angefühlt? In Runde 2 fühlte sich die Zeit viel länger an. Obwohl wir nur so tun sollten, als würden wir nicht zuhören, schalteten viele Zuhörende tatsächlich ab. Im wahren Leben wäre die erzählende Person vermutlich weggegangen oder hätte aufgehört zu reden.
„Hacks“ für den Alltag
Aufgrund der Zeit, stellte uns Jonas vor die Wahl: Achtsamkeit in Unternehmen oder Achtsamkeits“Hacks“ für den Alltag? Wir wählten die zweite Option.
#Hack1 Getting things done. Eine Selbstmanagement-Methode von David Allen, die belastungsfreies Arbeiten ermöglichen soll (alle To-Dos werden in einem System erfasst, durch das Organisieren der Aufgaben wird der Kopf wieder frei, die Angst, etwas zu vergessen, wird geringer). Hier gibts dazu nützliche Informationen.
#Hack2 Akzeptieren, was wir nicht verändern können. Diese schöne Übersicht: Hast du ein Problem im Leben? Nein. Dann: Warum darüber grübeln? Hast du ein Problem im Leben. Ja? Kannst du es ändern? Ja. Dann: Warum darüber grübeln? Hast du ein Problem im Leben. Ja? Kannst du es ändern? Nein. Dann: Warum darüber grübeln? Am besten können wir diesen Hack bei Verspätungen der Bahn probieren!
#Hack 3 Die Adaptions-Niveau-Theorie. Der Mensch adpatiert die auf ihn*sie einwirkenden Reize (es gibt einen sogenannten „Ankerreiz“ zu welchem die einwirkenden Reize in eine Ordnung gebracht werden – der Ankerreiz bildet insofern die Erwartungen eines Menschen ab). Konkret heißt das: Lotteriegewinner*innen sind in der Regel nicht glücklicher als Menschen, die nicht in der Lotterie gewonnen haben. Menschen, die traumatische, negative Erlebnisse erfahren haben, werden auch wieder positive, glückliche Momente haben.
#Hack 4 Der Negativitäts-Bias: Ein schlechtes Feedback braucht 9 gute, um einen Ausgleich zu finden. Oder andersrum: Etwas sehr Positives wird im Allgemeinen weniger Einfluss auf das Verhalten und die Kognition einer Person haben als etwas ebenso Emotionales, aber Negatives. Fazit: Sich dessen bewusst werden und ab und an inne halten (oder sogar notieren) „was ist heute passiert, das gut war?“.
#Hack 5 Jonas sagt, er ist kein Fürsprecher der „Detox Retreats – 7 Tage ohne Handy“, nicht unbedingt überraschend für jemanden, der eine App auf den Markt gebracht hat. Er macht seinen Punkt aber klar „Ich habe solche Retreats auch schon mitgemacht, mit dem Ergebnis, dass ich nach den 7 Tagen erstmal stundenlang am Handy saß und Nachrichten gecheckt bzw. versendet habe. Das ist nicht Sinn der Sache.“ Typischer Jojo-Effekt. Ein vollständiges Verbot führt eher zum ständigen Gedanken an das, was man nicht haben kann. Sein Vorschlag: Sich gezielte Routinen schaffen, in denen das Handy oder der Bildschirm keinen Platz haben. Das Handy sollte also nicht das erste und das letzte am Tag sein, auf das wir schauen – ggf. das Handy ganz aus dem Schlafzimmer bannen oder Handy-freie Zeiten und Zonen schaffen.
Im Anschluss an seinen Workshop haben wir uns noch kurz mit Jonas unterhalten. Mich persönlich irritiert der „Verkauf“ von Mindfulness unter Schlagworten wie „Werden Sie fokussierter / konzentrierter etc. …“. Ich habe verstanden, dass Achtsamkeit eben KEIN Ziel hat. Jonas sagte daraufhin völlig zu recht „Du kannst vielen Führungskräften, Physiker*innen, Ingenieur*innen … aber nicht sagen, probieren Sie doch mal so ganz ohne Ziel das Meditieren.“ Während der Übungen finden aber Haltungsveränderungen bei diesen Personen statt – „die wissenschaftlichen Fakten braucht es am Anfang, damit Neugierde geweckt wird“ und sich die Personen auf die neuen Erfahrungen einlassen. Wenn ihr mehr über 7Mind lesen wollt, empfehle ich dieses Interview.
Ansonsten wünsche ich ein schönes Wochenende und freue mich über Kommentare oder Feedback.
p.s.: Werbung #unpaid
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