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Deep Democracy Einführungstraining bei TheDive

Am Samstag, 15. Dezember2018, habe ich mich noch ein letztes Mal (für dieses Jahr) in die heiligen Hallen von The Dive (das Beratungsunternehmen für neues Arbeiten) gewagt – dieses Mal für eine Einführung zum Thema „Deep Democracy“. Moderiert wurde der Tag von Frank Weijers.

Was ist Deep Democracy?

In aller Kürze: Deep Democracy ist ein 5-Schritte Ansatz, der von Greg und Myrna Lewis auf Grundlage von Arnold Mindell’s prozessorientierter Psychologie entwickelt wurde. Es handelt sich um einen demokratischen „democracy“ Ansatz, da betont wird, dass jede Stimme Bedeutung hat und die weisesten Entscheidungen getroffen werden, wenn Mehrheits- wie Minderheitsstimmen gleichermaßen gewertschätzt werden. Es ist tief „deep“, da die Kommunikation zwischen Menschen neben der rationalen Diskussion – entlang von Fakten – auch Emotionen, Muster, die eigene Entwicklung, etc. einbezieht. Insgesamt ermöglicht der Ansatz eine partizipative Entscheidungsfindung. Im Gegensatz zur Konsent Methode, die in agilen Kreisen gerade die Runde macht (Achtung Wortspiel!), setzt Deep Democracy auf ein „tatsächliches Ja“ also auf echte Zustimmung aller Beteiligten.

Weiterhin unterschied der Moderator Frank drei Ebenen: Diskussionen „debates“ (Austausch von Meinungen), Auseinandersetzungen „arguments“ (hitziger Austausch / Streit) und Konflikte „conflicts“. Deep Democracy setzt bei letzterem an.

Einstieg ins Training – Ankommen und „Einchecken“

Alles ging ganz harmlos los. Erstmal ankommen und Einstiegsrunden, sogenannte „Check-In“.

Zunächst gab es eine Vorstellungsmethode. Jede*r Teilnehmende sagte kurz seinen*ihren Namen und beschrieb sich in fünf Hashtags, z.B. Ich heiße XYZ, #zweiKinder, #berlin, #asienreise, #strand, #neuearbeit. Für Großgruppen sehr geeignet, da schnell und dennoch effektiv – zudem liegt der Fokus nicht allein auf der Arbeit (wenn entsprechend eingeleitet).

Danach gab es eine weitere Übung: 3 Runden in wechselnden Teams, jeweils 2 Minuten Zeit, je Runde zweier oder dreier Teams. Die Frage „Wer bist du?“ sollte je Runde beantwortet werden. Hier gab es durch den Moderator kein Zeichen, wenn die erste Minute um war, die Teams mussten also selbst entscheiden, wann sie das Wort an wen übergeben wollten. In der Reflexion zeigten sich durchaus verschiedene Muster: Manche nahmen sich in den ersten Runden mehr Zeit, dann weniger und andersherum, manche stellten der anderen Person fragen, um nicht selbst antworten zu müssen…

Schließlich folgte noch eine dritte Übung zum Einstieg. Hier sollten sich 3er oder 4er Teams finden. Die Personen stellten sich jeweils nebeneinander in eine Reihe und schauten in dieselbe Richtung. Dann beantworteten sie die Frage „Warum freue ich mich heute hier zu sein?“. Jede*r sprach und brachte Argumente hervor nach dem Prinzip „Popcorn“ (wem was einfällt, also da, wo es „poppt“, der*die spricht). Sobald alle alles gesagt hatten, es also keine positiven Gründe mehr gab, wechselten die Personen physisch die Seite – es wurde wieder eine Reihe gebildet, alle blickten in dieselbe Richtung und nun wurden alle Gründe für  „Warum ich heute ungern hier bin!“ genannt. Sobald auch hier alles gesagt war, gab es eine weitere Runde positiver und dann wieder negativer Argumente (immer in Verbindung mit dem physischen Seitenwechsel). Das ganze nannte sich „Say it all“ („Lass alles raus! / Sag alles“). Nachdem alle Kleingruppen diese Aufgabe gemeistert hatten, versammelte Frank die Teilnehmenden wieder im Plenum und fragte: „Wer möchte lieber gehen? Wessen Mehrheit will eigentlich nicht hier bleiben?“ – bei den anderen „Was sind eure Minderheiten? Was braucht ihr, um Eure Minderheit zufrieden zu stellen?“. Dann war erstmal Mittagspause.

Entscheidung in der Gruppe treffen – Klappe die erste

Nach der Mittagspause wurde die erste Entscheidungsfindung mit Deep Democracy eingeführt. Entscheidung zur Frage: Wann soll der Einführungstag enden?

  • „Gain all the Views“: Jede*r durfte Vorschläge in den Raum werfen. Insgesamt sind es glaube ich 7 Vorschläge geworden (Ende genau 18 Uhr, Ende 18 Uhr oder früher – wenn die Energie es so will, Ende 20 Uhr…). Als keine Vorschläge mehr kamen, fragte der Moderator „Gibt es noch ganz andere, alternative Vorschläge? Etwas, was wir noch nicht gehört haben und sehr anders wäre?“
  • VOTE: Nachdem die Vorschläge gesammelt waren, hieß es „wählen“. Jede*r durfte eine Stimme für eine Option abgeben. Das führte zu keiner Mehrheit, sondern zu einer guten Verteilung.
  • „Hunting“: Also wartete Schritt 3: Jede*r durfte für jede Option Argumente pro oder dagegen abgeben. Es ging der Reihe nach. Mit Vorschlag 1 wurde begonnen. Wichtig ist, dass der Moderator alle Teilnehmenden nach Argumenten dafür oder dagegen bat und nicht nur die Personen ansprach, die sich für die Option entschieden hatten.
  • VOTE: Nachdem nun Argumente gesammelt waren, wurde noch einmal gewählt und die Mehrheit entschied sich für eine Option.
  • „Spread“: Der Moderator verkündete die Entscheidung und entschuldigte sich anschließend bei der Minderheit.
  • „Add wisdom of the minority“: Dann fragte er jede*n einzelne*n der Minderheit „Was brauchst du, damit du dieses Ergebnis akzeptieren kannst?“ – es gab nun einige Bedingungen über die abgestimmt wurden. Als alle sich einverstanden zeigten mit den Forderungen und dazugehörigen Lösungsvorschlägen war die Entscheidung gefallen – und die Weisheit der Minderheit war integriert.

Der ganze Prozess dauerte über eine Stunde. Er kostete mich persönlich viele Nerven (ich gehöre doch eher zu den ungeduldigen Menschen). In einer kurzen Reflexion stellte sich für uns schnell heraus: Dieser Entscheidungsprozess ist eher sinnvoll, wenn es um relevante Entscheidungen geht.

Entscheidungsprozesse in der Gruppe reflektieren

Nach einer kurzen Kaffeepause wartete eine weitere Reflexionsrunde auf uns – der „Soft Shoe Shuffle“. Dabei stellten sich die Teilnehmenden zunächst in einen Kreis. Dann trat eine*r hervor und äußerte eine Aussage bzw. These, z.B. „Dieser Entscheidungsprozess machte mich ungeduldig“ – der Moderator stellte sich daneben (damit keine Person allein steht), wiederholte ggf. nochmal die Aussage. Alle Teilnehmenden, die der Aussage zustimmten traten nun neben oder hinter die Person. Schnell wurden Polaritäten und Unterschiedlichkeiten in der Gruppe deutlich – und auch ich stellte mit Erstaunen fest, dass manche den Prozess energetisierend fanden.

Wichtig: Es galt hier auch das Prinzip der „Fluidity bzw. Flüssigkeit“ – d.h. wenn nach der Aussage „Dieser Entscheidungsprozess machte mich ungeduldig“, jemand anderes sagte „D

ieser Entscheidungsprozess gab mir Energie“ – dann können alle Personen, die vorher der Ungeduld zugestimmt hatten, nun auch dieser Aussage zustimmen (also scheinbare Widersprüche sind in Ordnung, sobald eine neue Aussage kommt, kann die alte Positionierung eines*r Teilnehmenden vergessen werden – es gibt kein „Du standest aber gerade da, jetzt hier, das geht nicht!“).

Die Haltung der Moderation bei dieser Übung zeichnet aus: Allparteilichkeit („neutrality“), aktives Zuhören („deep listening“) und Mitgefühl („compassion“).

Außerdem wies uns Frank darauf hin: Egal, was ein Individuum sagt, es ist bereits in der Gruppe – unbewusst. Sobald es ausgesprochen ist, wird es in das Bewusstsein der Gruppe geholt und kann bearbeitet werden. Daher sollte jede*r Beitrag eines Teilnehmenden gewertschätzt werden. Er dient dem Vorankommen der Gruppe.

Das Eisbergmodell & die Terrorlinie

Uns wurde das Eisbergmodell gezeigt. Viele kennen es: Die Spitze des Eisberges ist sichtbar, wie in Gruppen oder Organisationen bestimmte Artefakte, Verhaltensweisen, Gesagtes, etc. ABER: Nicht alles vom Eisberg ist sichtbar. Unter der Wasseroberfläche gibt es Dinge, die nicht sichtbar sind. So auch in Organisationen oder Gruppen: Es gibt Unbewusstes. Frank Weijers, unser Moderator, betonte vor allem eine rote Linie, die „Terrorlinie“ bzw. die „Linie des Widerstandes“ – auf dieser Linie gibt es mehrere Eskalationsstufen. Es startet mit Witzen, dann Sarkasmus, es folgen arme Kommunikation, Störungen, Verlangsamung, Verweigerungen, Streiks und schließlich kommt es zum Krieg oder zum Rückzug. Hierbei handelt es sich oft um entweder

nicht-Gesagtes (Mitarbeitende sprechen Dinge nicht an), um Gesagtes aber nicht Gehörtes (z.B. kein empathisches Gehör durch die Führungskraft) oder um Gesagtes, Gehörtes – aber die Reaktion bzw. Handlung fehlt (z.B. Feedback gegeben, wurde auch gehört – aber es folgt keine Änderung, Verhaltensmuster bleiben bzw. Ideen werden nicht implementiert).

Deep Democracy setzt dort an: Diese ungesagten oder nicht gehörten bzw. nicht verarbeiteten Aspekte werden aus dem Unbewussten der Gruppe rausgeholt, sichtbar und bewusst gemacht.

Zum Abschluss noch Polaritäten und Konflikt

Zum Abschluss, also quasi vor Feierabend, gab es noch eine Runde Konflikt (von allen Teilnehmenden ausdrücklich gewünscht). Als Ansatzpunkte wurde ein Konflikt, der zwischen zwei Personen am Vorabend in einer Diskussion mündete, genommen. Zunächst wurden Polaritäten in der Gruppe zum Thema mit dem „Soft shoe shuffle“ deutlich gemacht.

Dann wurden die Sicherheitsregeln „Safety Principles“ zum Einstieg in die nächste Übung mit allen abgestimmt – erst als jede*r Teilnehmende zugestimmt hatte (jede*r hob die Hand bei der

Frage „Wer kann den Prinzipien zustimmen?“), ging es los. Darüber gab es bereits hitzige Diskussionen. Die Prinzipien lauteten:

  • Keiner hat das „Monopoly“ auf die Wahrheit. (Es gibt nicht DIE EINE Wahrheit).
  • Wir machen dies, um unsere Beziehung zueinander zu verbessern. (Wir versuchen nicht, uns Schmerzen zuzufügen)
  • Wir sind alle bereit über uns selbst zu lernen.

Die Übung:

(1) Zwei Gruppen stellten sich im Raum gegenüber auf.

(2) Jede*r durfte sich den Gruppen frei zuordnen. Die Gruppen spiegelten die jeweiligen Polaritäten wider.

(3) Dann durfte Gruppe 1 beginnen – Gruppe 2 musste zuhören, durfte nicht reagieren. Von der ersten Gruppe wurden „Pfeile“ (nur metaphorisch) auf die andere Gruppe geworfen, diese Pfeile waren Anschuldigungen (auch lustig und übertrieben), die beschrieben, warum deren Standpunkt oder Haltung nicht sinnvoll sei. Dabei durften die einzelnen Gruppenmitglieder (sowohl von Gruppe 1 als auch von Gruppe 2) frei die Gruppen tauschen – dies war sogar ausdrücklich gewünscht (es fördert die Empathie). Jede*r durfte also auch nach Belieben Pfeile werfen.

(4) Nach einigen Minuten wurde Gruppe 2 aufgefordert, Pfeile zu werfen, Gruppe 1 musste zuhören. Auch hier durften die einzelnen Teilnehmenden wieder munter die Gruppen wechseln.

(5) Das ganze wurde zwei Runden durchgespielt, bis alle Pfeile geworfen waren.

(6) Im Anschluss an die Übung fragte der Moderator im Plenum, als alle wieder saßen „Gibt es noch etwas, was hier jetzt klären möchtet. Hat euch ein Pfeil mehr getroffen?“.

(7) Schließlich folgte die letzte Reflexionsrunde: „Was hat dich berührt? Was bedeutet das für dich – was lernst du daraus / was lernst du über dich?“

Kleines Fazit

Dieses Training hat wirklich einiges in mir bewegt. Besonders gefällt mir der Ansatz, da Konflikte nicht mehr personalisiert werden, sondern es um Polaritäten in Gruppen geht. Viele Konflikte in Gruppen bestehen nicht nur zwischen zwei Personen, sondern sind Ausdruck anderer, meist noch unbewusster Aspekte. Ich finde, hier kommt tatsächlich das Bild von der „Gruppe, die mehr ist als die Summe ihrer Teile ist“ zum Tragen.

Außerdem musste ich bei dem Soft Shoe Shuffle und den dort kreierten Polaritäten wieder einmal an das Havard Verhandlungskonzept denken: Interessen und Anliegen, die sich hinter Positionen verbergen. Bei dem Shuffle fehlte mir hier und da das genaue Hinsehen – was ist das Anliegen hinter dem Anliegen bzw. was ist das Anliegen hinter der geäußerten Position?

An der Methode werde ich dran bleiben. Es ist spannend, wie schnell Unbewusstes durch gezielte Übungen in den Raum kam… selbst bei einer recht homogenen Gruppe, die sich erst einen Tag kannte.

Ich werde weiterhin an meinen Konfliktmustern und –strategien arbeiten. Wie ist das bei euch?

Ich freue mich wie immer über Kommentare und Feedback. Und nicht vergessen: Seid ab und an die Minderheit, die eine andere Perspektive einbringt! Das bereichtert jede Gruppe. Traut euch!

1 Kommentar zu „Deep Democracy Einführungstraining bei TheDive“

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