Agile Organisation – Round Table bei der Deutschen Bahn

In der vergangenen Woche veranstaltete die Deutsche Bahn den 7. Round Table, dieses Mal zu den Themenschwerpunkten: DB Akademie: Einjähriges Bestehen als agile Organisation & Hybride Organisationsform in der Praxis.

DB Akademie – agile Organisation

Das Meetup startete mit einem kurzen Impulse inkl. Frage & Antwortrunde mit Jennifer-Marie Winkler (Team Kommunikation, DB Akademie agile Organisation).

Interne Organisation

Die DB Akademie (etwa 30 Mitarbeitende) startete vor einem Jahr die Transformation zur agilen Organisation, angestoßen wurde der Prozess 2017. Bei der Transformation war zu Beginn die Frage wichtig: Wo brauchen wir überhaupt agiles Arbeiten und welche Art von agilem Arbeiten brauchen wir wo? Es wird weitestgehend mit Holacracy gearbeitet und hier und da mischen sich Rollen oder Formate aus Scrum dazu. Beispielsweise gibt es bei der DB Akademie die sogenannten Kreise aus dem Holacracy – die Kreise stehen für einzelne Teams. Es gibt beispielsweise den Kreis Kommunikation oder Karriere. Jeder Kreis hat einen Product Owner (PO – eine Rolle aus dem Scrum). Der PO ist verantwortlich für Budgets, Prioritätensetzung, etc. Auf die Nachfrage, was einen PO von einer Abteilungsleitung unterscheidet, gab es die Antwort „Das Wie? hat sich verändert. Der PO entscheidet nicht allein, sondern bindet den Kreis (also das Team) in jede Entscheidung ein.“ Die Entscheidungen werden in den Kreismeetings nach Holacracy getroffen (d.h. im Governance oder Tactical Meeting) – vorschlagsbasiert und nach konsent-Methode. Es gibt in jedem Kreis ein paar Standardrollen (wie die*en Controller*in), diese treffen sich regelmäßig in einer sogenannten „Gilde“.

In jedem Kreis gibt es noch dazu agile Coaches – dies sind momentan interne Mitarbeitende.

Hier die letzte Folie des Impulses – was hat sich wirklich geändert, was meint Agilität für die DB Akademie:

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Anonyme & digitale Wahl der Product Owner

Eine für mich interessante Information: Die Wahl der PO für die jeweiligen Teams, haben die unbefristeteten Mitarbeiter*innen der DB Akamdie in einem digitalen und anonymen Verfahren selbst gewählt.

Zunächst gab es ein Vorschlagsrecht und die Möglichkeit sich selbst zu nominieren. Jeweils musste angegeben werden, warum die Person geeignet für die Rolle als PO ist.

Nach Ende der Nominierungsphase gab es einen 1-stündigen digitalen Termin, der die Vorstellung der Kandidaten und eine Begründung „warum kandidiere ich?“ beinhaltete. Schließlich wurde mit simply meet (einer digitalen Abstimmungsplattform) gewählt.

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Jennifer-Marie Winkler wurde so zum PO ihres Teams gewählt. An diesem Meetup-Abend erzählte sie, dass die Wahl zum PO ihr schönstes Erlebnis war: Sie war im Urlaub und bekam von der DB einen Anruf – sie wäre von ihrem Team zum PO nominiert worden, ob sie die Wahl antreten möchte. Sie war anscheinend überrascht, sie selbst hatte sich gar nicht in dieser Rolle gesehen. Dann bekam sie eine Mail mit der Liste der Gründe, warum Personen aus dem Team, sie als PO nominiert hatten. Die Liste war so lang, dass sie die Nominierung annahm – und schließlich gewählt wurde. Für Jennifer-Marie war dies ein Zeichen: In agilen Organisationen ist die persönliche Entwicklung durch das Team einfacher bzw. überhaupt möglich.

Meine Frage, warum die PO Wahl nach dem Konsens (also der mehrheitlichen Zustimmung) und nicht nach Konsent (also Widerstandsabfrage) Prinzip stattgefunden hat, wurde wie folgt beantwortet: Es wurde nicht per konsent entschieden sondern konsens, weil am „Wahltag“ mehr als 1 Person für den gleichen Posten zur Wahl stand, und jede*r hatte die Chance zu „pitchen“. Danach wurde anonym abgestimmt, daher konsens.

Hybride Organisationsformen in der Praxis

In der Meetup-Beschreibung steht: Was passiert, wenn eine Organisation sich auf den Weg zu mehr Selbstorganisation und Agilität macht? In der Theorie entsteht eine hybride Organisationsform, in der verschiedene Rahmenbedingungen koexistieren. An diesem Abend gab es eine Diskussion im Fishbowl-Format (Personen aus dem Publikum konnten also Teil der Diskussion werden und Fragen einbringen). Zunächst saßen auf der „Bühne“: Jennifer-Marie, Andreas Ulrich (Mitarbeiter bei DB Systel) und Dr. Andreas Zeuch (Organisationsberater und Gründer von Unternehmensdemokraten).

Zum Hintergrund – wer ist DB Systel und warum arbeiten die eigentlich agil?

Kurzer Hinweis an dieser Stelle: Die DB Systel hat etwa 4.700 Mitarbeitende und ist der Telekommunikationsdienstleister und 100% Tochter der Deutschen Bahn AG. Dr. Andreas Zeuch hat auch bei der Transformation der DB Systel mitgewirkt und sich bereits vor kurzem mit Adreas Ulrich im Gespräch zur Transformation ausgetauscht. Die Geschichte der Transformation lief wohl folgendermaßen: Als die DB-Leitung aus dem Silikon Valley zurückkam, sollte mehr Bwegung in Richtung Agilität und Selbstorganisation stattfinden. Die Tochter DB Systel wurde hierbei explizit ausgeklammert, weil die wohl zu verstaubt und träge wären („das überfordert die!“). Wie das oft ist: Dann kam eine jetzt-erst-recht-Stimmung auf und DB Systel wurde zum Vorreiter in Sachen Agilität bei der DB. Einen Podcast dazu gibt es auch hier auf die Ohren.

Highlights der Fishbowl

Aus der Fishbowl Diskussion habe ich vor allem folgende Highlights mitgenommen:

Nicht überraschend, aber es kann nicht oft genug betont werden: Das Top-Management muss hinter der Transformation oder der Veränderung stehen, idealerweise übernimmt es die Vorbildrolle.  Zu Beginn einer Transformation ist es daher wichtig, das „Go“ des Top-Managements einzuholen.

Andreas (der Unternehmensdemokrat) stellte außerdem fest, dass Geschäftsführer*innen nicht allein das ob und wie der agilen Transformation ausdeklinieren sollten oder gar könnten, denn: „Woher soll die Geschäftsführung wissen, was das Problem der Organisation ist?“ Oft ist die Geschäftsführung nicht in die Prozesse der Organisation eingebunden und kann daher auch keine sinnvollen Strukturen o.ä. dafür erdenken.

Außerdem wurde betont, dass keine Transformation auf einer „grünen Wiese“ stattfindet. Nicht mal bei neugegründeten Organisationen. Schließlich gibt es immer noch das Gesellschaftsrecht, das zwar viele Freiheiten lässt, aber doch auch Pflichten beinhaltet.

Als die Runde nach den „kritischen Momenten“ gefragt wurde, antwortete Jennifer-Marie, dass es immer noch schwer fällt, tatsächlich auch die Gefühle nicht an der Gaderobe mit dem Mantel abzugeben, sondern mit in den Berufsalltag reinzunehmen. Sich als Person zu zeigen. Sie hat einfach jahrelang etwas anderes in Konzernen erlernt. Dabei geht es im Übrigen nicht darum auf alles und jede*n stets und ständig emotional zu reagieren. Vor allem hat sie das sogenannte „spannungsbasierte“ Arbeiten gelernt. Also Dinge, die aus irgendeinem Grund etwas Negatives / eine „Störung“ bei ihr auslösen, direkt anzusprechen bzw. in besonderen Meetings zu bearbeiten. Bei Andreas von DB Systel ist vor allem der Aspekt „nicht an allen Baustellen zugleich“ arbeiten zu wollen, ein Learning aus dem Transformationsprozess. Ein weiterer Punkt der genannt wurde, ist das viele „um sich selbst drehen“. In der agilen Arbeitsweise verbringen die Teams durch viele Meetings- und Austauschformate auch viel Zeit mit sich selbst. An manchen Stellen wurde dann einfach die Frage gestellt „Wer zahlt denn das hier eigentlich alles?“ – damit der Fokus wieder zurück zu Kund*innen verlagert werden kann.

In der Diskussion wurde auch nochmal betont, dass agiles Arbeiten keineswegs hierarchiefreies Arbeiten meint. Die Art, wie diese Hierarchien entstehen (z.B. PO-Wahl) oder ausgelebt werden, ist allerdings anders. In einem sind sich die drei einig: Vor allem die Haltung (also das Wie) ändert sich beim agilen Arbeiten.

Die letzte Frage eines Teilnehmers ging nochmal in die Vollen: Wie sieht es eigentlich aus mit den Gehaltsmodellen in den agilen arbeitenden Bereichen? Nachdem das Mikro erstmal von einer Person zur nächsten gereicht worden ist, zeichnete sich schon ab: Hier gibt es noch keine zufriedenstellende Lösung. Bei DB Akademie sowie bei DB Systel sind die Stellen erstmal so geblieben „freeze“. Es gibt keine neuen Tarifanpassungen oder -verträge. So wie es sich anhörte, wird es wohl auch noch eine Weile dauern, bis hier gute neue Modelle ausgeklügelt worden sind, die eine flexible Rollengestaltung und Tarifverträge einer Konzernstruktur sinnvoll kombinieren. Es wurde auch angemerkt, dass es sicherlich einigen Mitarbeitenden schwer fiel, beispielsweise den Gartennachbar*innen zu sagen „Ich bin jetzt Product Owner“ statt „Abteilungsleiter“ – da viele Menschen noch nichts mit den Begriffen anfangen können und manche Personen einfach klassische Karriereleitern im Hinterkopf hatten – als sie beim großen DB Konzern gestartet sind. Dennoch sehen die drei Diskutierenden auch eine Änderung: In Zukunft wird es weniger um eine „Karriere“ gehen als vielmehr um eine „Persönlichkeitsentwicklung“ von Mitarbeitenden. Zum Thema neue Gehaltsmodelle wurde noch das Haufe-Buch New Pay empfohlen.

Und da nicht nur über die kritischen Aspekte gesprochen wurde, an dieser Stelle noch der Hinweis, dass Andreas von DB Systel jeden Tag ein Highlight auf seinem Twitter-Account teilt. Einfach mal reinlesen!

Quasi als Abschluss-„Give-Away“ empfahl Andreas Zeuch noch eine Fraunhofer IAO Studie zum Thema New Work.

Und jetzt?

Insgesamt war es ein Meetup, dass einen guten Überblick über aktuelle Entwicklungen innerhalb der DB Akademie und der DB Systel gab. Für ein wirkliches Verständnis des so wichtigen und immer wieder betonten Wie der agilen Arbeit, braucht es nach meinem Gefühl allerdings einen tatsächlichen Blick „hinter die Kulissen“. Einen Tag mal mitlaufen (Safaris werden angeboten) oder – die Kolleg*innen der DB schnallen sich mal eine Kamera um den Kopf und nehmen uns digital und live mit durch ihren Tag (na ja… das ist jetzt eher eine Idee von mir).

Wer noch nicht genug von der DB gelesen hat: In der Neuen Narrative (wer noch kein Abo hat – unbedingt abschließen!) gibt es einen Artikel über die DB Digital Base (an diesem Ort hatte das Meetup stattgefunden). Hinweis: Für den Beitrag in der aktuellen NeuenNarrative hat die DB Geld gezahlt (die NeueNarrative hat dies kenntlich gemacht und fragt gerade, wie wir Leser*innen das finden). Hier und in diesem Artikel: Ggf. viel Werbung, aber alles ungezahlt und aus Liebe zur Agilität.

Bis bald mal wieder! Ich freue mich wie immer über Kommentare…

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